News 01.06.2023 | Paradiesgarten

Verkörperte weibliche Spiritualität

© Stefan Keller Pixabay

Schon als Kind habe ich Rituale sehr geliebt. Ob es die Nachtgesänge meiner Mutter waren oder das Kreuzzeichen auf der Stirn mit Weihwasser. Es ist eine sinnlich erfassbare Erfahrung von einer unsichtbaren Qualität, nämlich der Liebe.

Mein Leben lang habe ich mich auf die Suchbewegung begeben: Wie fühlt sich das an, wenn Himmel und Erde sich begegnen? Ich suchte nach mehr als Glauben. Ich wollte fühlen. Fühlen, dass ich getragen bin von einer Kraft die über mich hinausgeht, die mich hält und führt, wenn ich nicht mehr weiterweiss. Ich wollte die «mystische Erfahrung» selber erleben, von der alle grossen Weisheitslehrerinnen und -lehrer sprechen.

Auf dieser Spurensuche durfte ich Gnadenmomente erleben: Vor vielen Jahren war ich zwei Monate lang emotional traurig und körperlich krank und hatte wegen Immunschwäche Hausarrest. So konnte ich in Ruhe mein Leben neu ordnen und mich tief in meinem Wesen entspannen. An einem dieser Tage lag ich tiefenentspannt auf meinem Sofa und sang ein Dankeslied. Da ergriff mich urplötzlich ein unglaubliches Liebesgefühl. Mir kamen Freudentränen, ich fühlte mich eins mit allem, mein ganzer Körper vibrierte und ich war sexuell erregt. Alles war pure Lebendigkeit und Lebensfülle. Da war ein tiefes Einverstanden sein mit allem was ist, was war, was sein wird und eine riesige Dankbarkeit.

Viele Jahre hatte ich geglaubt, dass mein Glaube in meinem Herzen und Geist stattfindet. Körperlichkeit sei dazu nicht unbedingt erforderlich, Sexualität oft sogar hinderlich. Heute erfahre ich mich als ganzkörperliches, spirituelles Wesen. Ich erfahre die Göttin, wie sie durch jede Zelle tanzt und mir Lebensenergie gibt. Ein präsenter, von Liebe erfüllter Sexualakt ist für mich wie beten und eine besondere Einheitserfahrung. Diese wurde möglich durch den Abbau von übersteigerter Scham, durch körperliche Selbstannahme und authentische Kommunikation.

Weibliche Spiritualität nimmt das Leben in seiner vollen Fülle. Alles was ist, ist Teil meines göttlichen Kerns: meine ganze Freude, meine ganze Wut, meine Lust, meine Kraft, selbst meine Zweifel – alles ist göttlich. Mein spiritueller Ausdruck ist heute geprägt von tanzen, singen, lachen und weinen, wütig sein, gütig sein – das volle Leben.

 

Weitere spirituelle Anregungen

Martina Franck

Die spirituellen Anregungen des «Paradiesgartens» im Juni 2023 wurden gepflanzt von Martina Franck, Integrative Therapeutin und Religionspädagogin.

1 Kommentar

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Simone Curau-Aepli - geschrieben am 14.06.2023 - 08:06 Uhr

Da wird ein Tabu angesprochen, das unsere Lebensenergie blockiert: das sinnliche Zusammenspiel von Spiritualität und Sexualität. Danke für das Teilen dieser persönlichen Erfahrung.